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Von Konstantin Akinsha

[…] Schließlich gaben die deutschen Fernsehjournalisten Herrn Kozicki frei, und ich hatte Gelegenheit, ihm einige Fragen zu stellen. Marek Kozicki erwies sich als großer, kurzhaariger Mann mit gepflegten Umgangsformen. Ich bat ihn, mir das Konzept zu erläutern, das dem zukünftigen Museum des Kommunismus zugrunde liegen sollte. Er war nicht der Erste in Warschau, dem ich diese Frage stellte. Kozicki versuchte zunächst, mir eine allgemeine Beschreibung der Idee zu geben, und es war sofort klar, dass er seine Erklärung schon viele Male vorgetragen hatte. Doch auf meine Nachfrage hin, warum das Museum des Kommunismus ausgerechnet in Warschau angesiedelt sein sollte, wich er von der gut einstudierten Version ab: Er meine, die zukünftige Institution sollte weniger dem Kommunismus im Allgemeinen gewidmet sein als vielmehr dem Leben des polnischen Volkes in den Jahren des Sozialismus. Während des Sprechens kam der Projektkoordinator zunehmend in Fahrt und erklärte, das Museum solle nicht nur das Innenleben jener Zeit rekonstruieren, sondern auch mit Hilfe von Schauspielern bestimmte für die sozialistischen Jahre typische Lebenssituationen nachstellen, von den Warteschlangen in Lebensmittelgeschäften bis zum Verhör politischer Gefangener. Vom Höhenflug seiner Phantasie davongetragen, verkündete er stolz: "Wir werden sogar den Geruch des Kommunismus rekonstruieren."
Seine Worte verblüfften mich. Ich versuchte mich an die Gerüche meines eigenen persönlichen Kommunismus zu erinnern, die Düfte des sowjetischen Lebens der 1960er bis 1980er Jahre. Wir hatten viele davon: den Geruch verfaulenden Kohls in den Speisesälen, den charakteristischen Kasernengestank aus Schweiß und Schuhwichse, den Duft des Parfüms "Rotes Moskau" (das in Flakons verkauft wurde, die dem Spassky-Turm des Kreml nachgebildet waren, und das meine Großmutter liebte), den scharfen Geruch des "Dreifach"-Eau de Cologne, das Alkoholiker häufig als preiswerten Wodkaersatz konsumierten, und natürlich den alles durchdringenden Gestank von Chlor, der überall, von öffentlichen Toiletten bis zu Gefängnissen, für Desinfektionszwecke verwendet wurde. Ich war mir nicht sicher, ob alle diese Gerüche – vielleicht mit Ausnahme des Parfüms Rotes Moskau – spezifisch "kommunistisch" waren. Als ich darüber nachzudenken begann, ob der polnische Kommunismus, ganz zu schweigen vom chinesischen oder kubanischen, möglicherweise anders riechen könnte als meine sowjetische Vergangenheit, wechselte Herr Kozicki unvermittelt das Thema. Er gestand, dass die Organisatoren des Museums noch kein konkretes Konzept hätten und daher eine Konferenz planten, um Museumsexperten zu einer Diskussion darüber einzuladen, wie das zukünftige Museum aussehen sollte. "Wir sind keine professionellen Museumsleute", gab der Koordinator zu.
Einige Tage vor diesem denkwürdigen Samstag, an dem die Bevölkerung von Warschau eingeladen war, "den Kommunismus ins Museum zu bringen”, saß ich im Büro von Czesław Bielecki, einem Architekten und ehemaligen Vorsitzenden des Komitees für Auswärtige Beziehungen im polnischen Sejm. Bielecki kannte den Kommunismus nur zu gut: Er hatte Mitte der 1970er Jahre die demokratische Opposition in Polen mitbegründet und deshalb einige Zeit im Gefängnis verbracht. Später war er die treibende Kraft bei der Einrichtung der Socland Foundation gewesen; das Museum des Kommunismus war ein alter Traum von ihm. Zum Rat der Stiftung, die 1999 gegründet wurde, zählen Prominente wie der Filmregisseur Andrzej Wajda; die Liste der Ehrenmitglieder umfasst Zbigniew Brzezinski, den ehemaligen nationalen Sicherheitsberater der USA, den französischen Historiker Alain Besançon und den früheren tschechischen Präsidenten Václav Havel.
"Sehen Sie sich die Schrifttype an!" rief Bielecki und zeigte auf das Logo der Stiftung. "Wir verwenden dieselbe Type, die für den Namen der Tribuna Ludu, der Hauptparteizeitung, verwendet wurde. Jeder Pole, der zu der Zeit gelebt hat, kann das erkennen." Hinter den Gläsern seiner dickrandigen Brille funkelten die Augen des Architekten vor Begeisterung. Bielecki war entzückt von der Idee, dass das zukünftige Museum interaktiv sein würde. 2003 hatte seine Stiftung bereits eine Ausstellung im Keller des Kulturpalastes organisiert, bei der zahlreiche Computersimulationen zum Einsatz gekommen waren. Besucher betraten einen Raum, in dem Dokumentarmaterial zur Parade am Ersten Mai gezeigt wurde, und konnten sich plötzlich selbst in der Menge sehen, die den Parteiführern zuwinkte; im anderen Saal fanden sie sich dann unter den Streikenden der Danziger Leninwerft wieder. Bieleckis besonderer Stolz war die "Verhörmaschine". Hier wurden Menschen, die einen als Verhörzimmer ausstaffierten Raum betraten, mit der schreienden Stimme eines unsichtbaren Geheimdienstpolizisten konfrontiert, der von den Gefangenen verlangte, ihr "Geständnis" zu unterschreiben.
Bieleckis Vision des zukünftigen Museums war eine Mischung aus Erinnerungsstätte für die Opfer und High-Tech-Entertainment-Park. Der Name der Stiftung ist kein Zufall: "Socland" bezieht sich auf einen anderen Vergnügungsort, dem es jedoch an der strengen Ernsthaftigkeit "rückblickender Gerechtigkeit" mangelt: Disneyland in Florida. […]

Konstantin Akinsha wurde 1960 in Kiew geboren. In den 1990er Jahren Moskauer Korrespondent und Redakteur des New Yorker Magazins ARTnews. Forschungen zur Konfiszierung kulturellen Eigentums während des Zweiten Weltkriegs, u.a. als Wiss. Mitarbeiter der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen und des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg. 1999 - 2000 stellvertretender Forschungsdirektor für Kunst und kulturelles Eigentum der Presidential Advisory Commission on Holocaust Assets der Vereinigten Staaten. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählt Beutekunst. Auf Schatzsuche in russischen Geheimdepots (1995).

Der Text ist ein Auszug aus Konstantin Akinshas Beitrag zu Sprung in die Stadt.