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Die Themenabende

Freitag, 6.10.06, ab 19.00 Uhr
Planet Moldau

Unsere Nachbarplaneten sind unbekannt und unbewohnbar - oder etwa doch nicht? Auch wenn die Republik Moldau am Rande von Europa liegt und daher häufig unserer Aufmerksamkeit entgeht, so werden hier doch Fragen zu gesellschaftlichen Verhältnissen in einer Klarheit und Radikalität aufgeworfen, die auch internationale Problemlagen plastisch machen. Der Documenta-Künstler Pavel Brăila und Freunde laden im Rahmen von „Planet Moldau“ ein, eine Gesellschaft kennen zu lernen, die sich seit 1989 rasant und umfassend verändert hat und viel über Europa in seinem Jetzt-Zustand erzählen kann.

Wir eröffnen das Thema „Planet Moldau“ in der cumberlandschegalerie mit der Videoarbeit „Barons & Hill“ von Pavel Brăila. Im Jahre 2003 filmte der Künstler bizarre Prunkvillen im Süden Moldaus, die reine Repräsentationsbauten sind und nicht bewohnt werden. Die Roma-Familien, denen sie gehören, leben zumeist in kleinen Häusern und haben die Mittel für den Bau dieser aufwendig gestalteten Häuser über Jahrzehnte angespart.

Einen anderen, zunächst pragmatisch anmutenden Aspekt der Republik Moldau wird Brăila mit der Arbeit „Eurolines-Catering or Homesick Cuisine“ in den Blick nehmen. Zum Titel dieser Arbeit inspirierte ihn das Busunternehmen „Eurolines Moldova“, das Chişinău mit Städten in und außerhalb Europas verbindet und die moldauische Arbeitsmigration über den ganzen Kontinent sicherstellt. Aber, so versichert der Künstler, vor allem ist das Unternehmen „Eurolines“ dazu da, alle glücklich zu machen. Ausklingen wird der Abend mit einer Mischung aus computergenerierter Musik und VJing durch das Künstlerkollektiv „Planeta Moldova“. In der rumänischsprachigen Subkultur der Republik Moldau sind sie Kult, und an ihren lakonisch-absurden Animationsfilmen (die wir deutsch untertiteln) hätte ein Max Goldt seine Freude.

Samstag, 07.10.06, ab 19.00 Uhr
Erinnern, Vergessen, Anpassen – Strategien der Vergegenwärtigung

> Eine Performance mit dem bulgarischen Künstler Javor Gardev
> Ein Gespräch anknüpfend an den Film "Grbavica" ("Esmas Geheimnis") von Jasmila ˇbanić mit Marijana Senjak, Caroline Hornstein- Tomić und Caroline Fetscher

Wie geht man mit einer nahen und schmerzhaften Vergangenheit um? Diese Frage stellt sich massiv in den Ländern, die sich in Folge der Jugoslawien-Kriege neu formiert haben und noch formieren. Sie ist aber auch generell für Gesellschaften bedeutsam, die durch den Kollaps des Staatssozialismus in rasante Transformationsprozesse geraten sind. Wir fragen: Was kann wie erinnert werden, was wird nicht erinnert und welche Fragen tauchen gar nicht erst auf?

Der Sofioter Theaterregisseur Javor Gardev eröffnet den Abend in Hannover in der cumberlandschegalerie. Er stellt seine Arbeit "Visual Police" vor, mit der er vor kurzem die bulgarische Öffentlichkeit in Bewegung brachte: Als ‚Major des guten Geschmacks‘ inszenierte sich Gardev als Gast bei Talkshows und seriösen Nachrichtensendungen. Ein militärischer Hüter des guten Geschmacks, der im Auftrag der Stadt Sofia für ästhetische Ordnung sorgt, scheint der bulgarischen Öffentlichkeit zwar ärgerlich, aber durchaus realistisch zu sein.

Anknüpfend an den Film "Grbavica" diskutieren wir in einem Gespräch zum Thema "Zeugenschaft" die gegenwärtige Situation von vergewaltigten Frauen in Bosnien und Herzegowina, die Wirkung eines Spielfilms auf den offiziellen Umgang mit den rund 20.000 kriegsversehrten Frauen und die Möglichkeiten, Krieg als etwas zu begreifen, das "nicht mit Blut und Leichen auf der Straße", wie ˇbanić sagt, aufhört.

Zu Gast sein werden die bosnische Psychologin und Leiterin des Frauentherapiezentrums "Medica Zenica", Marijana Senjak, sowie Caroline Hornstein-Tomić (Zagreb) und Caroline Fetscher. Senjak war als ständige Beraterin für "Grbavica" tätig und kämpft gemeinsam mit Jasmila ˇbanić für die Anerkennung von vergewaltigten Frauen als Kriegsversehrte und damit für deren Anspruch auf eine staatliche Unterstützung. Die langjährige Leiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sarajevo, Caroline Hornstein-Tomić, wird einen Eindruck davon geben, wie die Vertreter der UNO die Diskussion um die systematischen Vergewaltigungen heute führen und welche Rolle diese Diskussion bei dem Versuch spielt, in Bosnien und Herzegowina zu einer Normalität zurückzufinden. Die Moderation übernimmt die Autorin und Journalistin Caroline Fetscher aus Berlin. Als langjährige Kennerin der Region und Expertin für Menschenrechtsfragen sowie für das Tribunal in Den Haag hat sie seit Jahren u.a. für den "Tagesspiegel" und "Die Zeit" über die Situation im ehemaligen Jugoslawien berichtet.

Die Journalistin Carolin Emcke ebenso wie die Filmemacherin Jasmila ˇbanić mussten ihre Teilnahme aufgrund von Krankheit und familiären Gründen leider absagen. Jasmila ˇbanić wird daher mit einem eigens für die Diskussion gedrehten Video-Interview präsent sein.

Parallel zu den Gesprächen wird der Film "Grbavica" von Jasmila ˇbanić im Kommunalen Kino (KoKi) gezeigt. Außerdem präsentieren wir den Omnibus-Film "Lost and Found", für den ˇbanić eine Episode gestaltete.


Die Matinee


Sonntag, 8.10.06, 11.00 Uhr
Repräsentation des Fremden in der deutschen Öffentlichkeit

Die Länder des östlichen Europa spielen in der deutschen Öffentlichkeit kaum eine Rolle. Entsprechend begrenzt ist unser Wissen über sie. Welche Verkennungen prägen unser Bild von den Ländern des östlichen Europa? Was sind generell die Voraussetzungen für die Darstellung und Vorstellung des Fremden in der deutschen Öffentlichkeit?

Die Matinee im großen Foyer des schauspielhannover beginnt mit einer Lesung von Tilman Rammstedt. Der Autor war 2005 im Kosovo und hat mit der ihm eigenen Lakonie beschrieben, wie es sich anfühlt, sich als „professioneller Tourist“ in einem Land zu bewegen, von dem man kaum mehr weiß, als dass es einen Krieg gegeben hat. Entstanden ist eine Beobachtung des Kosovo und zugleich die Beobachtung dieser Beobachtung - eine Erzählung über die Verfahren der Empathie, der Distanznahme und der Rückübersetzung. Nach der Lesung wird Stephan Lohr vom NDR ein Gespräch mit Tilman Rammstedt führen. Darauf folgt eine Diskussion zwischen dem kroatischen Kulturtheoretiker Boris Buden und dem Philosophen und Soziologen Oskar Negt, ebenfalls moderiert von Stephan Lohr. Boris Buden hat mit großer sprachlicher und analytischer Kraft, mit Witz und Engagement den Zusammenbruch Ex-Jugoslawiens und die Entwicklung der einzelnen Länder über Jahre hinweg beschrieben und analysiert. Es zeichnet seine Texte aus, dass sie sich nicht mit kulturellen Erklärungen zufrieden geben, sondern nach den politischen Bedingungen für Konflikte und Entwicklungen fragen. Diesen langjährigen Beobachter der Situation in den Ländern Ex-Jugoslawiens, der heute in Berlin lebt, bringen wir mit Oskar Negt und also mit einem der angesehensten Denker zum Verhältnis von Gesellschaft und Öffentlichkeit in Deutschland ins Gespräch.

> Agenda docking tour 01: Hannover