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Hauptstadt: Sofia, 1 096 289 Einwohner (Zensus 2001)
Einwohner: 7 973 671 (Zensus 2001)
Bevölkerung: 83,5 Prozent Bulgaren, 9,5 Prozent Türken, 4,6 Prozent Roma, 1,5 Prozent andere Minderheiten (Zensus 2001)
Fläche: 110 994 Quadratkilometer
Bruttoinlandsprodukt (BIP): 19 860 Millionen US-Dollar (2003)
BIP pro Kopf: 2 536 USDollar (2003)

 

Ein König kommt nach Sofia

In der Nachkriegsära galt die Volksrepublik Bulgarien lange Zeit als einer der treusten Bündnispartner der Sowjetunion. Doch spätestens mit dem Machtantritt von Michail Gorbatschow 1985 kühlte das Verhältnis zwischen den beiden Staaten merklich ab. Auch die bis dahin engen wirtschaftlichen Austauschbeziehungen gerieten ins Stocken. Der Lebensstandard der bulgarischen Bevölkerung, die sich von den wiederholt angekündigten Erneuerungen des politischen und wirtschaftlichen Systems mehr Freiräume und eine bessere Versorgung erhofft hatte, verschlechterte sich zusehends. Angesichts einer wachsenden Legitimationskrise versuchte der langjährige Staats- und Parteichef Todor Schiwkow seine Stellung durch eine Mischung aus Reformrhetorik und Repression zu festigen. Gleichzeitig verschärfte er die Diskriminierung gegenüber der türkischen Minderheit, die in der bulgarischen Nationalitätenpolitik1  auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Bereits Mitte der 1980er Jahre hatten die Partei- und Staatsorgane Angehörige dieser ethnischen Gruppe gezwungen, ihre türkischen Vor- und Nachnamen zu "slawisieren". Im Frühjahr 1989 ließ Schiwkow die Grenzen zur Türkei öffnen und löste mit Hilfe von Gewaltkampagnen einen Massenexodus von mehr als 300 000 Menschen aus. Allerdings beschleunigten diese Aktionen eher seinen Sturz, denn die Volksrepublik Bulgarien hatte sich mit ihnen außenpolitisch völlig isoliert. Am 10. November 1989 wurde der Staatschef in Absprache mit Gorbatschow von der bulgarischen Parteiführung entmachtet. Die Postkommunisten, umbenannt in Bulgarische Sozialistische Partei (BSP), versuchten nun auf parlamentarischem Weg an der Regierung zu bleiben. Die Chancen standen dafür nicht schlecht, da es in Bulgarien nur eine relativ schwach ausgebildete Dissidentenbewegung gab. Diese hatte sich am 7. Dezember 1989 zur Union der Demokratischen Kräfte (SDS) zusammengeschlossen. Das Spektrum der oppositionellen Kräfte reichte von Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen über unabhängige Gewerkschaftsinitiativen bis hin zu wiedererstandenen Parteien der Zwischenkriegszeit.

Bei den ersten freien Parlamentswahlen am 10. und 17. Juni 1990 errang die BSP eine klare Mehrheit. Die "Union" erreichte 36 Prozent, während der "Bauernbund" auf 8 Prozent der Wählerstimmen kam und die vom Dissidenten Ahmed Dogan geführte "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS) auf 6 Prozent. Diese Gruppierung vertrat vor allem die Interessen der türkischen Minderheit. Im Vorfeld der Wahlen war am 10. April 1990 ein Gesetz beschlossen worden, das die Gründung von religiös oder ethnisch begründeten Parteien verbot. Nur indem sich die DPS formal für alle Bürger und Bürgerinnen öffnete und mit Hilfe des bulgarischen Verfassungsgerichtes gelang es der Partei, diese Bestimmungen zu umgehen. Die Forderungen der türkischen Minderheit nach kulturellen und politischen Rechten stießen in den nächsten Jahren immer wieder auf aggressive Gegenbewegungen bei der Mehrheitsbevölkerung, die von den Parteien gezielt geschürt wurden.

Nachdem Ende 1990 die regierenden Sozialisten aufgrund von Massenprotesten zurücktreten mussten, kam es in den folgenden Jahren mehrfach zu Regierungswechseln. Schließlich konnte die BSP mit Hilfe eines Wahlbündnisses ("Demokratische Liste") Anfang 1995 wieder die Regierungsmacht übernehmen. Es war ihr gelungen, insbesondere die Wählerschichten anzusprechen, die durch die Restrukturierung der Ökonomie sozial deklassiert worden waren. Doch schon 1996 geriet Bulgarien in eine der schwersten Währungs- und Wirtschaftskrisen im postsozialistischen Osteuropa. Eine inkonsistente Wirtschaftspolitik, die Aufrechterhaltung tradierter Produktionsstrukturen und ein korruptes Klientelsystem spielten dabei eine wichtige Rolle. Nach einem rapiden Rückgang der Realeinkommen und dem weitgehenden Zusammenbruch der Sozialversicherungssysteme konnten viele Menschen nur noch mit Hilfe von städtischen Suppenküchen überleben. Die bulgarische Bevölkerung stellte sich auf einen "Hungerwinter" ein. Angesichts solcher Perspektiven weitete sich die ökonomische Depression zur Staatskrise aus. Ende 1996 entlud sich die wachsende gesellschaftliche Unzufriedenheit erneut in Massendemonstrationen. Nur wenig später stürmten Demonstranten das Parlament in Sofia und setzen so ihre Forderung nach Neuwahlen durch.

Die konservative SDS errang mit ihrem Wahlbündnis Vereinigte Demokratische Kräfte (ODS) im April 1997 die absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Der neue Ministerpräsident, Iwan Kostow, verfolgte eine strikte Sparpolitik, bremste die Inflation und legte wichtige Grundsteine für eine zukünftige Nato- und EU-Mitgliedschaft. Die Hoffnungen der Bevölkerung auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse wurden jedoch nicht erfüllt. Die soziale Polarisierung der Gesellschaft schritt vielmehr voran. Zwar konnte die konservative Regierung erstmals eine volle Legislaturperiode durchhalten, erlitt bei den Parlamentswahlen 2001 aber eine schwere Niederlage. Als stärkste Kraft konnte sich überraschend die Sammelpartei des Ex-Monarchen Simeon II2  durchsetzen. Borisov Sakskoburggotski, so der bürgerliche Name des letzten bulgarischen Zaren, war nach mehr als fünf Jahrzehnten aus dem Exil zurückgekehrt und hatte innerhalb weniger Monate die populistische Nationale Bewegung Simeon II. (NDSW) ins Leben gerufen: Binnen 800 Tagen, so die Parole von Sakskoburggotski, werde es dem Land deutlich besser gehen. Den Privatisierungskurs wolle man sozialverträglich gestalten. Aber auch ihm gelang es nicht, trotz des einsetzenden Wirtschaftswachstums, den Lebensstandard der Bevölkerung signifikant zu verbessern. Im Gegensatz zur Metropole Sofia und den Touristenzentren am Schwarzen Meer blieben das Land und die kleinen Städte von der ökonomischen Entwicklung abgekoppelt. Und wie alle Vorgängerregierungen geriet auch das Kabinett Sakskoburggotski unter den Verdacht der Korruption. Die Parlamentswahlen im Juni 2005 offenbarten eine tiefe Kluft zwischen der politischen Klasse und der Gesellschaft. Die BSP erzielte zwar 31 Prozent, aber viele Wähler hatten das wirtschaftliche Desaster ihrer letzten Regierungsphase 1995 / 96 noch nicht vergessen. Ebenso strafte man die Konservativen ab, die sich in den letzten Jahren völlig zerstritten hatten. Aber auch der Stimmanteil der Nationalen Bewegung Simeon II. schrumpfte mit 19,9 Prozent auf die Hälfte zusammen. Von der Krise der politischen Repräsentanz profitierte vor allem die rechtsextreme "Ataka" (Angriff), die auf Anhieb mit 9 Prozent der Wählerstimmen zur viertstärksten Partei aufstieg. Für den Erfolg waren vor allem rassistische Ausfälle gegen die bulgarischen Türken und die Roma verantwortlich. Nach langwierigen Verhandlungen kam schließlich eine Mitte-links-Koalition aus der NDSW, den Sozialisten und der "Bewegung für Rechte und Freiheiten" von Ahmed Dogan zustande. Ausschlaggebend war die vorherrschende Einsicht, dass nur mit einer stabilen Koalition der geplante Beitritt zur Europäischen Union eine realistische Option blieb.

Bevorstehender EU-Beitritt

Schon Ende 1995 hatten die damals regierenden Sozialisten den Antrag auf die Vollmitgliedschaft Bulgariens in der EU gestellt, sich aber gleichzeitig gegenüber einem möglichen Nato-Beitritt aufgrund russischer Einwände reserviert verhalten. Mit der einsetzenden ökonomischen Krise erhielt die Nato-Mitgliedschaft für die bulgarische Außenpolitik jedoch oberste Priorität, da man sich davon einen entscheidenden Vorteil für den Eintritt in die europäische Staatengemeinschaft erhoffte. Bulgarien gab seine anfängliche Zurückhaltung im Jugoslawienkonflikt auf und öffnete 1999 den eigenen Luftraum für Nato-Angriffe gegen die benachbarte Bundesrepublik Jugoslawien. Schließlich erfolgte im März 2004 die Aufnahme in die militärische Allianz zusammen mit Rumänien, Slowenien, der Slowakei sowie den drei baltischen Staaten. Seit 1997 erfüllt Bulgarien weitgehend die Kopenhagener Kriterien3  und gilt seit 2002 als "funktionierende Marktwirtschaft". Am 25. April 2005 unterzeichneten die EU-Außenminister und Vertreter der bulgarischen und rumänischen Regierung die Beitrittsverträge. Demnach sollen beide Länder am 1. Januar 2007 aufgenommen werden. Im Gegensatz zu früheren Beitrittsrunden gelten nun strengere Schutzklauseln: Sollten nicht alle Voraussetzungen erfüllt werden, kann die Europäische Union die Aufnahme auf das Jahr 2008 verschieben.

Bis Ende der 1990er Jahre warf die EU der bulgarischen Regierung schwere Versäumnisse bei der Achtung der Menschenrechte vor. Neben den bulgarischen Türken sind vor allem Roma einer starken Diskriminierung und Marginalisierung ausgesetzt. Daran hat sich bis heute grundsätzlich nichts geändert, obwohl Ministerpräsident Sakskoburggotski die gesellschaftliche Integration dieser Minderheit auf die politische Agenda setzte.

1999 legten die bulgarische und die mazedonische Regierung ihren langjährigen Sprachenstreit bei. Bulgarien erkannte erstmals offiziell die Eigenständigkeit der mazedonischen Nation an. Mazedonien4  wiederum sagte zu, auf die mazedonische Minderheit im Nachbarstaat keinen Einfluss zu nehmen.

 

Protektorat des internationalen Währungsfonds

Die Volksrepublik Bulgarien war bis 1989 im hohen Maße in die arbeitsteiligen Wirtschaftsstrukturen des Ostblocks eingebunden. Während 80 Prozent des bulgarischen Außenhandels in die sozialistischen Staaten exportiert wurden, betrug der EU-Handelsanteil lediglich 12 Prozent. Die ökonomische Lage und insbesondere die Zahlungsbilanz mit dem Ausland galten schon in den 1980er Jahren als problematisch. Der Systemwechsel und die einsetzende Restrukturierung der bulgarischen Wirtschaft vergrößerten noch die Schwierigkeiten. Das Schrumpfen der osteuropäischen Märkte und die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der bulgarischen Produkte auf dem kapitalistischen Weltmarkt führten zu einem raschen Rückgang der Industrieproduktion und der Beschäftigten. Zwischen 1989 und 1999 sank das Bruttoinlandsprodukt um mehr als zwei Drittel.

Auch die überstürzte Privatisierung der Landwirtschaft führte in den 1990er Jahren zu einer deutlichen Verminderung der Produktion. Als die Genossenschaften aufgelöst und die Bauernhöfe an die ehemaligen Besitzer oder Erben zurückgegeben wurden, entstanden nahezu ausschließlich unproduktive Kleinstbetriebe. Gleichzeitig sahen sich immer mehr Menschen durch ihre Armut zur Subsistenzwirtschaft gezwungen. Im Jahr 2003 trug der Agrarsektor, in dem 25,6 Prozent der Erwerbstätigen beschäftigt sind, 11,4 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei.

Die Privatisierung der Staatsindustrien verlief hingegen schleppend. Dafür war nicht zuletzt das ökonomische Kalkül der alten Nomenklatura verantwortlich. Nach dem Systemwechsel nutzte sie ihre gesellschaftlichen Schlüsselstellungen, um sich am öffentlichen Eigentum zu bereichern. Zunächst wurden private Firmen gegründet, die sich strategisch an den In- und Outputstrukturen der großen staatlichen Industrieunternehmen platzierten. Man verkaufte den Staatsbetrieben Rohstoffe zu überhöhten Preisen, nahm deren Fertigprodukte zu Sonderkonditionen ab und veräußerte diese anschließend mit hohem Gewinn. Die Regierungen subventionierten wiederum die maroden Staatsunternehmen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Gleichzeitig gründeten Vertreter der alten Machtstrukturen eine Reihe von Banken, die von der Bulgarischen Staatsbank finanziert wurden. Diese vergaben ihrerseits Kredite an ihnen nahestehende Privatfirmen. Auf diese Weise entstand mit der Zeit eine kaum zu durchschauende Finanzpyramide, die auf keiner realen wirtschaftlichen Basis mehr beruhte. Durch die Bereitstellung immer neuer Mittel steigerte sich die bereits bestehende Inflation zu einer Hyperinflation. Schließlich verlor Bulgariens Währung ihre Funktion als Zahlungsmittel. Die Sozialisten bedienten in ihrer Regierungszeit somit vor allem die Interessen der ehemaligen Nomenklatura, die sich in den 1990er Jahren zu einer Wirtschaftselite gewandelt hatte.

Um die Krise zu beheben, führte die neue konservative Regierung im Frühjahr 1997 im Auftrag des Internationalen Währungsfonds (IWF ein "currency board arrangement" in Bulgarien ein. Der am 1. Juli 1997 eingesetzte "Währungsrat" band den Kurs des Lew an die Deutsche Mark (1000 Lewa = 1 DM) bzw. den Euro. Die umlaufende Geldmenge war von nun an durch die Devisenreserven der bulgarischen Zentralbank gedeckt und fest an sie gekoppelt. Seitdem besteht in Bulgarien eine Art IWF-Protektorat, da die Autonomie der Regierung in Haushaltsfragen faktisch abgeschafft ist und jede Entscheidung mit den internationalen Finanzinstitutionen abgestimmt werden muss. Der Internationale Währungsfonds gilt als der größte Gläubiger der bulgarischen Auslandsschulden in Höhe von über 13 Milliarden US-Dollar.

Die Währungsanbindung konsolidierte die bulgarische Volkswirtschaft tatsächlich; die Inflationsrate stabilisierte sich. Der Nachteil dieser Austeritätspolitik besteht allerdings darin, dass der Spielraum für staatliche Investitions- und Sozialprogramme erheblich eingeschränkt wird. Zusätzlich wirkt sich der Stabilitätskurs negativ auf die Binnennachfrage aus. So drängte der IWF in den letzten Jahren auf eine kontinuierliche Erhöhung der Energiepreise und versuchte gleichzeitig, eine Anhebung der Mindestlöhne zu verhindern. Zwar gilt die Wirtschaft heute mit einem Wachstum von 4,3 Prozent (2003) als relativ dynamisch, doch entspricht das bulgarische Bruttoinlandsprodukt, in Kaufkraftstandards umgerechnet, gerade 29 Prozent des Durchschnitts der EU-Länder. Damit sind das Wirtschaftswachstum und der Lebensstandard der Bevölkerung weiterhin entkoppelt. Verfügte ein mehrköpfiger Haushalt Ende 2000 im Durchschnitt über 470 Lewa monatlich, so waren es ein Jahr später nur noch 410 Lewa.

Die Arbeitslosenquote hingegen ist in den letzten Jahren gesunken (2004: 12,2 Prozent). Experten führen den Rückgang jedoch weniger auf die Konjunktur als auf arbeitspolitische Maßnahmen zurück. Gleichzeitig lässt sich eine ungleiche Verteilung der Arbeitslosigkeit beobachten. Während man in Sofia bei einer Rate von 4 Prozent beinahe von Vollbeschäftigung sprechen kann, sind in anderen Regionen mehr als 20 Prozent der Einwohner erwerbslos. Als Folge dieser Ungleichheit sind große Teile des "flachen Landes" heute weitgehend menschenleer.

Auffallend ist auch die Zunahme von ausländischen Direktinvestitionen, die sich 2003 auf 1,36 Milliarden US-Dollar beliefen. Neben dem niedrigen Lohnniveau und den geringen Unternehmenssteuern spielt hier der anvisierte EU-Beitritt eine Rolle. Die Leistungsbilanz der bulgarischen Volkswirtschaft hat sich deutlich verschlechtert. Das Defizit stieg von 5,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes 2002 auf 8,4 Prozent im Folgejahr an. Im bulgarischen Außenhandel war 2003 Italien mit 13,2 Prozent der wichtigste Abnehmer, gefolgt von Griechenland (11,6 Prozent), Deutschland (11 Prozent) und der Türkei (9,2 Prozent). Über die Hälfte der Importe stammten aus den Ländern der erweiterten Europäischen Union (EU25), wobei die Bundesrepublik mit 13,8 Prozent die Spitzenposition einnahm. Gleichwohl bewegen sich die deutschbulgarischen Handelsbeziehungen insgesamt auf sehr niedrigem Niveau.

 

Angleichung an "westliche" Standards

Zwar garantiert die bulgarische Verfassung von 1991 die Informations- und Pressefreiheit, doch übten Parteien und mächtige Interessengruppen stets starken politischen und wirtschaftlichen Druck auf die Redaktionen der verschiedenen Medien aus. Vor allem die Kontrolle über das Fernsehen galt bislang als selbstverständlicher Bestandteil der Regierungsverantwortung. Entsprechend wurde der Posten des Generaldirektors allein zwischen 1989 und 2000 elfmal nach parteipolitischen Präferenzen vergeben. Der bulgarischen Minderheitenpolitik gemäß existierte bis Mitte 2000 auch eine Bestimmung, die Programme der staatlichen elektronischen Medien nur in bulgarischer Sprache auszustrahlen. Der Eifer, mit dem die bulgarische Regierung jetzt die Strafprozessordnung auch hinsichtlich der Pressefreiheit reformieren lässt, steht mit dem anstehenden EU-Beitritt in Zusammenhang. Noch im Herbst 2004 stellte der Fortschrittsbericht der EU-Kommission fest, dass der Vorwurf übler Nachrede oder Verleumdung mit existenzvernichtenden Bußgeldern bestraft werden kann und es vor Gericht nur einen völlig unzureichenden Informationsschutz von Journalisten gibt.

Lange Zeit galten die Bulgaren als besonders eifrige Zeitungsleser. Nach Schätzungen von Medienexperten kaufte Ende der 1990er Jahre jeder dritte Erwachsene eine Tageszeitung. Marktführer sind die Blätter Trud (Wahrheit) und 24 Tschassa (24 Stunden) der bulgarischen Tochtergesellschaft der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ)5 . Die deutsche Verlagsgruppe, die wegen ihrer Monopolstellung immer wieder in Konflikt mit den staatlichen Kartellbehörden geraten ist, behauptet, auf die redaktionelle Arbeit keinen Einfluss zu nehmen. Parallel lässt sich auf dem Anzeigenmarkt ein Konzentrationsprozess beobachten. Hier ist es der WAZ gelungen, eine Schlüsselstellung im Werbemarkt Bulgariens einzunehmen. Allerdings verlieren die Zeitungen zugunsten der elektronischen Medien seit Jahren an Auflagenstärke – ein Trend, von dem auch die WAZ-Organe betroffen sind. Im Fernsehbereich hat sich inzwischen der Medienkonzern Rupert Murdoch als Marktführer etabliert.


 

1 Das Verhältnis zur türkischen Minderheit in der bulgarischen Nationalitätenpolitik war seit der Gründung des modernen bulgarischen Staates konfliktbeladen. Der Kampf um die Unabhängigkeit (1876-1878 ) endete mit der Vertreibung rund einer halben Million Muslime aus dem Land. Die zweite Migrationswelle setzte mit den beiden Balkankriegen 1912 / 13 ein und dauerte bis 1926 an. Ganze Bevölkerungsgruppen wurden nach nationalitätspolitischen Gesichtspunkten "ausgetauscht". Auch die Kommunisten verfolgten eine rigide Nationalitätenpolitik. Mitte der 1950er Jahre postulierten sie, dass Bulgarien "kein multinationaler Staat" und die türkische Minderheit ein "untrennbarer Bestandteil des bulgarischen Volkes" sei. 1969 wurde ein Auswanderungsvertrag mit der Türkei geschlossen, worauf etwa 120 000 bulgarische Türken bis 1978 die Volksrepublik verließen. Aus innenpolitischen Gründen kam es 1989 zu einer weiteren erzwungenen Migrationswelle. Nach dem Sturz des kommunistischen Regimes kehrten viele der Vertriebenen wieder zurück. Auch in der neuen bulgarischen Verfassung vom 13. Juli 1991 wird die türkischsprachige Bevölkerung nicht als Minderheit anerkannt und das Recht auf eine Territorialautonomie ausgeschlossen. [zurück]

2 Der Berliner Kongress von 1878 beschloss die völkerrechtliche Anerkennung von Serbien, Rumänien und Montenegro sowie die Autonomie des bulgarischen Fürstentums. Zugleich setzten die Großmächte die Monarchie als Regierungsform fest. Die von außen diktierten Fürstenthrone wurden mehrheitlich von "Landesfremden" eingenommen. In Bulgarien löste 1887 das Haus Sachsen-Coburg-Gotha den Fürsten Alexander von Battenberg ab, der beim russischen Zaren in Ungnade gefallen war. 1909 erkannte der Sultan die volle Unabhängigkeit Bulgariens und die Umbenennung in ein Königreich an. Nach dem Ersten Weltkrieg setzten sich autoritäre Regime in Form von "Königsdiktaturen" überall in Südosteuropa durch. In Bulgarien bestieg Simeon II. (geb. 1937) nach dem Tod seines Vaters Boris III. am 28. August 1943 den Thron. Es handelte sich nur um ein kurzes Intermezzo. Denn das mit dem Deutschen Reich verbündete Bulgarien wurde im September 1944 von sowjetischen Truppen besetzt. Mit Hilfe eines Referendums schafften die bulgarischen Kommunisten am 8. September 1946 die Monarchie ab. Simeon II. ging daraufhin mit seiner Mutter ins Exil nach Spanien. [zurück]

3 Auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen wurden 1993 drei grundlegende Beitrittskriterien definiert (Kopenhagener Kriterien): institutionelle Stabilität, eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Anerkennung der politischen Ziele der Union. Die sogenannten Beitrittspartnerschaften betreffen Geld- und Haushaltspolitik, Verwaltungsreformen, Eingriffe in die Sozialversicherungssysteme sowie die Übernahme des gemeinschaftlichen Regelwerks der Europäischen Union ("acquis communautaire"). Ein Zurückfallen der Kandidaten hinter die festgelegten Ziele kann mit Sanktionen beantwortet werden. Im Verhältnis zu früheren Erweiterungsrunden sind die gegenwärtigen Verhandlungen wesentlich stärker von einseitigen Vorgaben der Europäischen Union geprägt. [zurück]

4 In den beiden Balkankriegen von 1912 / 13 teilten Griechenland, Serbien und Bulgarien Mazedonien unter sich auf. Nach dem Ersten Weltkrieg entbrannte ein langjähriger Streit um den jugoslawischen Teil von Mazedonien, auf den Bulgarien territoriale Ansprüche erhob. Gegen die bulgarische Besetzung dieser Region von 1941 bis 1944 entwickelte sich unter der Führung der kommunistischen Partisanen ein breiter Widerstand. Dabei erklärte die Kommunistische Partei Jugoslawiens die slawischen Mazedonier zu einer eigenständigen Nation. Nach dem Bruch Titos [S. 574] mit Stalin gewannen die Auseinandersetzungen um die "mazedonische Frage" erneut an Schärfe. Beide Volksrepubliken unterstellten sich gegenseitig territoriale Expansionsbestrebungen. Um die mazedonische Minderheit in Bulgarien von möglichen separatistischen Einflüssen aus Jugoslawien fern zu halten, änderte der bulgarische Staat seine Nationalitätenpolitik. Die Führung in Sofia ging dazu über, die Existenz von Minoritäten im eigenen Land zu leugnen. Bis Ende der 1990er Jahre vertrat die bulgarische Regierung die Position, dass die slawischen Mazedonier in der Nachbarrepublik im ethnischen Sinne Bulgaren seien. [zurück]

5 Der Konzern der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) hat sich in den letzten Jahren zu einer medialen Macht in der Region entwickelt. Er ist unter anderem in Bulgarien, Kroatien, Rumänien, Serbien und Ungarn engagiert und will weiter expandieren. Nicht von ungefähr holte das Unternehmen Bodo Hombach, den ehemaligen Koordinator des sogenannten Stabilitätspaktes für Südosteuropa, in den Vorstand. [zurück]